In den letzten Jahren hat Cannabis weltweit zunehmend an Aufmerksamkeit gewonnen. Neben den Diskussionen um die Legalisierung steht vor allem die Erforschung seiner vielfältigen Wirkstoffe und deren Effekte im Vordergrund. Ob medizinisch oder im Freizeitgebrauch – das Verständnis der Wirkung von Cannabis hat sich stark weiterentwickelt und eröffnet sowohl Konsumenten als auch Forschern neue Perspektiven.
Die Pflanzenstoffe, die in Cannabis enthalten sind, wirken komplex und können das Wohlbefinden auf unterschiedliche Weise beeinflussen. Dabei haben verschiedene Inhaltsstoffe wie THC und CBD, aber auch weniger bekannte Substanzen, besondere Wirkungsmechanismen, die teilweise synergistisch miteinander agieren. Dieser Artikel soll einen detaillierten Überblick über die verschiedenen Aspekte der Cannabiswirkung geben, von den chemischen Grundlagen bis hin zu den individuellen Effekten der unterschiedlichen Sorten und Profile.
1. Die Wirkungsweise von Cannabis: THC und CBD im Detail
Cannabis enthält eine Vielzahl von chemischen Verbindungen, die jeweils unterschiedliche Wirkungen auf den menschlichen Körper haben können. Besonders im Fokus stehen zwei der prominentesten Cannabinoide: THC (Tetrahydrocannabinol) und CBD (Cannabidiol). Diese beiden Substanzen beeinflussen das sogenannte Endocannabinoid-System, ein Netzwerk von Rezeptoren im Körper, das unter anderem für die Regulierung von Stimmung, Schmerzempfinden und Immunfunktionen zuständig ist.
THC und seine psychoaktive Wirkung
THC, kurz für Tetrahydrocannabinol, ist der wichtigste psychoaktive Inhaltsstoff in Cannabis. Seine Wirkungsweise entfaltet sich durch die Bindung an die CB1-Rezeptoren im Gehirn, insbesondere im Belohnungssystem und in Hirnarealen, die für Gedächtnis, Wahrnehmung und Bewegungssteuerung zuständig sind. Diese Bindung führt dazu, dass THC die Ausschüttung von Dopamin stimuliert – ein Botenstoff, der Gefühle von Freude und Entspannung hervorrufen kann. Neben den bekannten euphorisierenden Effekten kann THC auch sensorische Wahrnehmungen intensivieren und die Sinne schärfen, was für einige Konsumenten eine verstärkte Kreativität und ein verändertes Zeitgefühl bedeutet. Allerdings variiert die THC-Wirkung stark je nach Dosis, Konsumform und individueller Verträglichkeit, weshalb bei höheren Dosierungen auch unerwünschte Nebenwirkungen wie Angstgefühle, Verwirrtheit oder paranoide Gedanken auftreten können.
Medizinisch wird THC vor allem wegen seiner schmerzlindernden und muskelentspannenden Eigenschaften geschätzt. Studien haben gezeigt, dass es bei chronischen Schmerzen, etwa durch Arthritis oder Multiple Sklerose, eine effektive Linderung bieten kann. Darüber hinaus wird THC in der Behandlung von Appetitlosigkeit eingesetzt, insbesondere bei Krebspatienten oder HIV-Betroffenen, da es das Hungergefühl anregt und Übelkeit mindert. Ein weiterer therapeutischer Ansatzpunkt ist die Senkung des Augeninnendrucks, was besonders für Patienten mit Glaukom von Bedeutung ist. So wird THC in unterschiedlichen medizinischen Kontexten verwendet, wobei die genaue Wirkung je nach Zusammensetzung des Cannabis-Produkts variieren kann.
CBD und seine beruhigende Wirkung
Cannabidiol (CBD) hat in den letzten Jahren große Popularität erlangt, nicht nur wegen seines therapeutischen Potenzials, sondern auch, weil es frei von psychoaktiven Effekten konsumiert werden kann. CBD interagiert nicht direkt mit den CB1- oder CB2-Rezeptoren wie THC, sondern moduliert deren Aktivität, was es zu einer Art „regulierendem“ Molekül macht. CBD scheint auch auf die GABA-Rezeptoren zu wirken, die eine Rolle bei der Hemmung von übermäßiger neuronaler Aktivität spielen und so entspannend wirken können. Diese Eigenschaft macht CBD vor allem für jene Menschen interessant, die unter Angststörungen, Schlafproblemen oder chronischem Stress leiden, da es das Nervensystem beruhigen kann, ohne die Wachsamkeit zu beeinträchtigen.
Darüber hinaus hat CBD entzündungshemmende und neuroprotektive Eigenschaften, was es vielversprechend in der Behandlung von entzündlichen Erkrankungen wie Arthritis oder sogar bei neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer und Parkinson macht. Studien weisen darauf hin, dass CBD auch krampflösend wirkt, weshalb es in bestimmten Epilepsieformen, wie dem Dravet-Syndrom, Anwendung findet. Ein weiteres Feld, in dem CBD zunehmend Bedeutung gewinnt, ist die Behandlung von Hautkrankheiten wie Akne, da es die Talgproduktion der Haut regulieren kann. Obwohl noch mehr Forschung nötig ist, um das gesamte therapeutische Potenzial von CBD zu verstehen, ist es bereits heute ein wichtiger Bestandteil vieler medizinischer Anwendungen.

2. Sativa, Indica und die Präzision der Chemovare
Traditionell wurde Cannabis anhand der botanischen Kategorien Sativa und Indica klassifiziert, um die verschiedenen Effekte und Anwendungen der Pflanze zu beschreiben. Diese Unterscheidung geht zurück auf die äußeren Merkmale der Pflanzen, wie Größe, Form und Blütezeit. Allerdings hat sich das Verständnis von Cannabis und seinen chemischen Eigenschaften weiterentwickelt, und Experten betrachten die Einteilung in sogenannte Chemovare als eine präzisere Klassifizierungsmethode. Diese basiert auf dem spezifischen chemischen Profil der Cannabinoide und Terpene, die die Wirkung der Pflanze beeinflussen.
Die klassischen Kategorien: Sativa und Indica
Sativa und Indica sind die zwei bekanntesten Hauptkategorien von Cannabis. Historisch wurden sie nach äußeren Merkmalen wie Wuchsform und Blattform unterschieden. Während Sativa für seine anregende Wirkung bekannt ist, wird Indica häufig aufgrund seiner entspannenden Eigenschaften geschätzt. Diese beiden Kategorien dienen als allgemeine Orientierungshilfe für Konsumenten, doch moderne Forschungen weisen darauf hin, dass die Wirkung maßgeblich durch das spezifische chemische Profil der Sorte beeinflusst wird.
1. Sativa
Sativa-Pflanzen sind oft hoch und haben schmale Blätter. Typischerweise wirken Sativa-dominierte Sorten belebend und stimmungsaufhellend und werden oft tagsüber verwendet. Die Wirkung von Sativa-Sorten wird traditionell mit einer Steigerung von Kreativität und Energie in Verbindung gebracht, was sie für den Freizeitgebrauch sowie in einigen medizinischen Bereichen, etwa zur Behandlung von Depressionen oder chronischer Müdigkeit, beliebt macht.
2. Indica
Indica-Pflanzen sind meist kürzer und buschiger mit breiteren Blättern. Indica-dominierte Sorten haben eine entspannende und beruhigende Wirkung und werden oft zur Förderung des Schlafs und zur Linderung von Schmerzen eingesetzt. Diese Sorten eignen sich gut für den abendlichen Gebrauch und werden im medizinischen Bereich zur Behandlung von Schlaflosigkeit, Muskelkrämpfen und Angstzuständen genutzt.
Die moderne Einteilung: Chemovare
Während Sativa und Indica nützliche allgemeine Kategorien sind, bietet die Einteilung in Chemovare eine detailliertere Sicht auf die tatsächlichen Effekte der Pflanze. Chemovare werden basierend auf ihrem chemischen Profil in Bezug auf die Cannabinoide und Terpene klassifiziert, die für die spezifische Wirkung verantwortlich sind. Ein Chemovar beschreibt also nicht nur die botanischen Merkmale, sondern das Verhältnis von THC, CBD und den unterschiedlichen Terpenen, was zu einer genaueren Einteilung und gezielteren Nutzung führt.
1. Chemovar Typ I (THC-dominant)
Diese Sorten haben einen hohen THC-Gehalt und sind in der Regel psychoaktiv. Sie werden oft zur Schmerztherapie und zur Steigerung des Appetits bei Krebspatienten oder Menschen mit HIV/AIDS genutzt.
2. Chemovar Typ II (THC- und CBD-Kombination)
Diese Sorten enthalten sowohl THC als auch CBD und bieten einen ausgewogenen Effekt, der psychoaktive und therapeutische Eigenschaften kombiniert. Sie eignen sich gut für Patienten, die von der psychoaktiven Wirkung profitieren, aber eine zu starke Wirkung vermeiden möchten.
3. Chemovar Typ III (CBD-dominant)
Diese Sorten haben einen hohen CBD-Gehalt und einen geringen THC-Gehalt, was bedeutet, dass sie keine oder nur eine sehr milde psychoaktive Wirkung haben. Sie werden zur Behandlung von Angststörungen, Epilepsie und Entzündungen eingesetzt.
Vorteile der Chemovar-Klassifizierung
Die Chemovar-Einteilung hilft medizinischen Fachkräften und Patienten, die Sorten gezielter für spezifische Beschwerden auszuwählen. Statt nur zwischen „beruhigend“ und „stimulierend“ zu unterscheiden, ermöglicht das Wissen um das chemische Profil einer Pflanze eine differenzierte Anwendung. Diese Methode wird zunehmend bevorzugt, da sie die verschiedenen Cannabinoide und Terpene berücksichtigt, die zur gewünschten Wirkung beitragen.

3. Die Rolle der Terpene: Wirkung über das Aromaprofil hinaus
Terpene sind aromatische Verbindungen, die vielen Pflanzen ihre charakteristischen Düfte verleihen. In Cannabis sind Terpene nicht nur für den Geruch verantwortlich, sondern haben auch eine wichtige Rolle bei der Wirkung. Diese Substanzen interagieren mit Cannabinoiden wie THC und CBD und beeinflussen die Gesamteffekte – ein Zusammenspiel, das als Entourage-Effekt bezeichnet wird und bestimmte therapeutische Potenziale verstärken kann.
Die wichtigsten Terpene und ihre spezifischen Effekte
1. Myrcen
Häufig in Indica-Sorten zu finden, hat Myrcen einen erdigen, moschusartigen Duft. Dieses Terpen wirkt beruhigend und schmerzlindernd, was es besonders nützlich für Patienten mit Schlaflosigkeit oder chronischen Schmerzen macht. Studien zeigen, dass Myrcen die Aufnahme von THC verstärken und dessen Wirkung verlängern kann.
2. Limonen
Dieses Terpen ist für seinen zitronigen Duft bekannt und kommt in vielen Zitrusfrüchten sowie in Sativa-Sorten vor. Limonen hat eine stimmungsaufhellende und stresslindernde Wirkung und wird oft bei Angstzuständen eingesetzt.
3. Linalool
Mit einem blumigen Aroma, ähnlich dem von Lavendel, wirkt Linalool beruhigend und angstlindernd. Studien deuten darauf hin, dass Linalool entzündungshemmende und schmerzlindernde Eigenschaften hat und zur Behandlung von Schmerzen und Entzündungen nützlich sein könnte.
4. Caryophyllen
Dieses würzig-pfeffrige Terpen ist einzigartig, da es auch an CB2-Rezeptoren im Körper bindet und eine entzündungshemmende Wirkung hat. Dies macht es besonders wertvoll für Patienten mit entzündlichen Erkrankungen wie Arthritis.
Der Entourage-Effekt: Verstärkte Wirkung durch Synergie
Der Entourage-Effekt beschreibt das Phänomen, dass Terpene und Cannabinoide in Kombination eine intensivere Wirkung erzielen als isoliert. Diese Synergie kann dazu beitragen, die Wirksamkeit in bestimmten medizinischen Anwendungen zu erhöhen. Patienten und Konsumenten, die sich über Terpene informieren, können so gezielt Sorten auswählen, die ihre gewünschten Effekte – ob beruhigend, stimmungsaufhellend oder schmerzlindernd – verstärken.
4. Cannabis-Rezept und Bezug in der Apotheke
In Deutschland ist der Zugang zu medizinischem Cannabis seit 2017 gesetzlich geregelt. Um ein Rezept zu erhalten, müssen Patienten bestimmte gesundheitliche Voraussetzungen erfüllen, und eine konventionelle Therapie muss entweder als unzureichend bewertet worden sein oder keine besseren Alternativen bieten. Diese Vorschrift ermöglicht es, Cannabis für die Behandlung schwerer Krankheiten zu verschreiben, darunter chronische Schmerzen, Multiple Sklerose und Nebenwirkungen der Chemotherapie.
Voraussetzungen und Beantragung eines Cannabis-Rezepts
Ärzte dürfen medizinisches Cannabis verschreiben, wenn sie eine Begründung vorlegen können, dass das Cannabis die Symptome des Patienten wirksam lindern kann. Ein umfassendes ärztliches Gutachten und eine Antragsstellung an die Krankenkasse sind nötig, um die Kostenübernahme zu beantragen. Die Krankenkassen prüfen den Antrag und entscheiden, ob die Kosten übernommen werden.
Bezug von medizinischem Cannabis in der Apotheke
Mit einem gültigen Rezept können Patienten das Cannabis in der Apotheke beziehen, wo sie zwischen verschiedenen Sorten mit spezifischen THC- und CBD-Konzentrationen wählen können. Apotheker unterstützen bei der Auswahl und Dosierung, da die Wirkung stark von der Konsummethode und der individuellen Verträglichkeit abhängt. Viele Apotheken bieten mittlerweile auch einen Online-Bestellservice für medizinisches Cannabis an, um Patienten eine diskrete und einfache Versorgung zu ermöglichen.
Zukunftsaussichten und neue Entwicklungen
Die Entwicklung neuer Cannabisprodukte, die gezielt auf bestimmte Krankheitsbilder zugeschnitten sind, schreitet voran. Extrakte und standardisierte Dosierungen könnten in Zukunft noch besser auf die Bedürfnisse der Patienten abgestimmt werden und die Handhabung und Dosierung erleichtern.

5. Zusammenfassung und Ausblick
Cannabis ist eine komplexe Pflanze, deren Wirkung weit über die bekannten Cannabinoide THC und CBD hinausgeht. Die verschiedenen chemischen Profile, einschließlich der Terpene und ihrer spezifischen Effekte, machen es möglich, die Wirkung gezielt zu steuern – sei es zur Schmerzlinderung, Entspannung oder zur Stimmungsaufhellung. Dabei spielt der sogenannte Entourage-Effekt eine entscheidende Rolle, da er die Synergie zwischen Cannabinoiden und Terpenen nutzt, um eine verstärkte Wirkung zu erzielen.
Mit der steigenden wissenschaftlichen Anerkennung und der Verbesserung der Klassifikationsmethoden, wie der Einteilung in Chemovare, wird die Nutzung von Cannabis immer präziser. Dies ermöglicht es sowohl Konsumenten als auch medizinischen Fachkräften, Sorten gezielt für spezifische Wirkungen auszuwählen, was die Bedeutung von Cannabis als Therapeutikum weiter festigt.
Neben der Wirkungsweise bleibt auch der rechtliche Aspekt relevant: Die Legalisierung von medizinischem Cannabis in Deutschland hat einen wichtigen Schritt hin zur breiteren Akzeptanz und Nutzung ermöglicht. Mit laufenden Forschungsprojekten und geplanten Anpassungen der Gesetzgebung könnte die Zukunft noch differenziertere Anwendungen und eine einfachere Zugänglichkeit bringen. Auch die Möglichkeit, Cannabisrezepte zu erhalten und dieses sicher in der Apotheke zu beziehen, eröffnet Patienten neue therapeutische Optionen.
In den kommenden Jahren wird die Forschung weiter dazu beitragen, das Verständnis für die Wirkmechanismen von Cannabis zu vertiefen und neue Anwendungsfelder zu erschließen. Gleichzeitig dürften gesetzliche Anpassungen und medizinische Standards die Nutzung weiter präzisieren und die Lebensqualität der Patienten steigern.
Quellenverzeichnis
1. Die Wirkungsweise von Cannabis: THC und CBD im Detail
- https://nida.nih.gov/themes/custom/solstice/interactive/cannabis/
- https://www.mayoclinic.org/healthy-lifestyle/consumer-health/in-depth/medical-marijuana/art-20137855
- https://newsnetwork.mayoclinic.org/discussion/mayo-clinic-q-and-a-treatment-with-medical-cannabis/
- https://nida.nih.gov/research-topics/cannabis
2. Sativa, Indica und die Präzision der Chemovare
- https://www.nationalacademies.org/news/2017/01/health-effects-of-marijuana-and-cannabis-derived-products-presented-in-new-report
- https://www.aafp.org/pubs/afp/issues/2021/1200/p598.html
- https://www.mayoclinic.org/healthy-lifestyle/consumer-health/expert-answers/is-cbd-safe-and-effective/faq-20446700
- https://newsnetwork.mayoclinic.org/discussion/mayo-clinic-q-and-a-research-needed-into-treating-anxiety-with-cbd/
3. Die Rolle der Terpene: Wirkung über das Aromaprofil hinaus
- https://nida.nih.gov/research-topics/cannabis
- https://www.nccih.nih.gov/health/cannabis-marijuana-and-cannabinoids-what-you-need-to-know
- https://www.cdc.gov/cannabis/health-effects/index.html