Medizinisches Cannabis ist eine wertvolle Option zur Behandlung verschiedener Erkrankungen. Ob bei chronischen Schmerzen, neurologischen Störungen oder therapieresistenten Symptomen – der Einsatz von Cannabisarzneimitteln bietet Patientinnen und Patienten oft eine spürbare Linderung und eröffnet neue therapeutische Möglichkeiten. Dabei stehen unterschiedliche Darreichungsformen zur Verfügung, wie getrocknete Cannabisblüten oder standardisierte Cannabisextrakte. Jede dieser Formen hat spezifische Vorteile und Einsatzgebiete, abhängig vom Krankheitsbild und den gewünschten Therapieergebnissen. In diesem Beitrag beleuchten wir die Unterschiede zwischen der inhalativen Anwendung von Cannabisblüten und der oralen Einnahme von Cannabisextrakten, um aufzuzeigen, wann welche Therapie sinnvoll ist.
Inhalation von Cannabisblüten: Schnelle Wirkung bei akuten Beschwerden
Die inhalative Anwendung von Cannabisblüten mittels Vaporisator ermöglicht eine schnelle Linderung von Symptomen. Bereits 3 bis 10 Minuten nach der Anwendung berichten Patientinnen und Patienten über spürbare Verbesserungen, beispielsweise bei Schmerzen oder Krämpfen; die Wirkung hält typischerweise 2 bis 4 Stunden an [1,2]. Zum Vergleich: Schnell wirksame Opioide entfalten ihre Wirkung zwar in einer ähnlichen Zeitspanne (5 bis 10 Minuten), halten jedoch nur 1 bis 2 Stunden an. Diese Eigenschaften machen die inhalative Nutzung von Cannabisblüten besonders geeignet bei akuten Beschwerden wie Durchbruchschmerzen, Spastiken oder Tic-Störungen.
Klinische Studien belegen die Wirksamkeit der inhalativen Anwendung von Cannabisblüten bei starken Schmerzen, wie sie beispielsweise bei HIV-Patientinnen und -Patienten mit therapierefraktären neuropathischen Schmerzen auftreten [3]. Eine klinische Studie aus dem Jahr 2020 zeigte, dass bereits niedrige THC-Dosen bei inhalativer Anwendung eine spürbare und signifikante Schmerzlinderung bewirken können [4]. Diese Erkenntnisse unterstreichen den therapeutischen Nutzen der inhalativen Anwendung von Cannabis in der Schmerzbehandlung und heben ihre Bedeutung als Alternative zu herkömmlichen Schmerzmitteln hervor.
Vorteile der Inhalation
- Schneller Wirkungseintritt: Der Effekt der inhalativen Anwendung von Cannabisblüten setzt innerhalb von Sekunden bis Minuten ein [2]. Dies macht diese Methode besonders vorteilhaft für Patientinnen und Patienten mit akuten Symptomen wie Schmerzen, Krämpfen oder Spastiken.
- Gezielte Symptomkontrolle: Die schnelle Wirkung ermöglicht eine präzise und bedarfsgerechte Symptomlinderung, da Cannabinoide kurzfristig eingesetzt und flexibel angepasst werden können.
- Flexibilität in der Dosierung: Dank des raschen Wirkungseintritts können Patientinnen und Patienten die Wirkung zügig einschätzen und die Dosis nach Bedarf anpassen. Dies erleichtert eine individuell abgestimmte Cannabistherapie.
- Kurze Dauer unerwünschter Effekte: Mögliche Nebenwirkungen bei der Inhalation sind in der Regel nur kurzzeitig spürbar und klingen schneller ab als bei der oralen Einnahme von Cannabisarzneimitteln.
- Vollständiges Spektrum an Inhaltsstoffen: Cannabisblüten enthalten sämtliche Cannabinoide und Terpene, was den sogenannten Entourage-Effekt unterstützt. Dieser beschreibt die Synergien der verschiedenen Inhaltsstoffe, die gemeinsam eine höhere therapeutische Wirksamkeit erzielen können. Besonders Terpene bieten therapeutischen Nutzen, wie in klinischen und präklinischen Studien nachgewiesen wurde [5].
Nachteile der Inhalation
- Schwierige Dosierbarkeit: Die Inhaltsstoffkonzentration in Cannabisblüten kann schwanken, wodurch eine präzise Dosierung der Cannabinoide erschwert wird. Dies stellt eine Herausforderung für Patientinnen und Patienten dar, die auf eine konstante Wirkstoffmenge angewiesen sind.
- Relativ kurze Wirkung: Die Wirkung der inhalativen Anwendung hält in der Regel nur 2 bis 4 Stunden an, was bei dauerhaft auftretenden Symptomen wie chronischen Schmerzen mehrere Inhalationen pro Tag erforderlich macht.
- Abhängigkeitspotenzial: Der schnelle Wirkungseintritt der inhalativen Anwendung kann, ähnlich wie bei herkömmlichen schnell wirksamen Medikamenten, mit einem erhöhten Abhängigkeitsrisiko einhergehen. Ärztinnen und Ärzte sollten diesen Aspekt bei der Verordnung von Cannabisarzneimitteln beachten.
- Inhalationsrisiko: Trotz der geringeren Belastung der Atemwege beim Verdampfen im Vergleich zum Rauchen bleibt ein potenzielles Risiko für die Atemwege bestehen, insbesondere bei langfristiger Anwendung.
- Umständliche Anwendung: Die Nutzung von Cannabisblüten erfordert technisches Zubehör wie einen Vaporisator und eine Feinwaage. Im Vergleich zu Cannabisextrakten oder standardisierten Arzneimitteln in Form von Kapseln oder Tropfen ist die Anwendung daher weniger alltagstauglich und komplizierter.
Orale Einnahme von Cannabisextrakten: Länger anhaltende Wirkung bei chronischen Beschwerden
Die orale Einnahme von Cannabisextrakten zeichnet sich durch eine verlängerte Wirkungsdauer von 4 bis 8 Stunden aus [1]. Aufgrund des verzögerten Wirkungseintritts, der zwischen 30 und 90 Minuten liegt [1], eignet sich diese Darreichungsform besonders für die Dauermedikation bei chronischen Schmerzen oder anderen langfristigen Beschwerden. Cannabisextrakte ermöglichen durch ihre gleichmäßige und anhaltende Wirkung eine stabile Symptomkontrolle, was sie zur idealen Wahl für Patientinnen und Patienten macht, die eine kontinuierliche Linderung benötigen.
Vorteile der oralen Einnahme
- Längere Wirkung: Die therapeutische Wirkung von Cannabisextrakten hält mit 4 bis 8 Stunden deutlich länger an als bei der inhalativen Anwendung. Dies ermöglicht eine anhaltende Symptomkontrolle ohne häufige Nachdosierung.
- Einfache Anwendung: Cannabisextrakte wie Tropfen, Öle oder Kapseln lassen sich unkompliziert einnehmen und dosieren. Im Gegensatz zur Anwendung von Cannabisblüten sind keine technischen Geräte wie Vaporisatoren erforderlich, was die Nutzung im Alltag erleichtert.
- Standardisierte Dosierung: Dank der standardisierten Herstellung von Cannabisextrakten bieten diese eine präzise und gleichbleibende Wirkstoffkonzentration an THC, CBD und anderen Cannabinoiden, was die Therapie planbarer und zuverlässiger macht.
- Kein Inhalationsrisiko: Da die Wirkstoffe über die orale Einnahme aufgenommen werden, entfällt das potenzielle Gesundheitsrisiko für die Atemwege, das mit der Inhalation von Cannabisblüten verbunden sein kann.
- Geringeres Abhängigkeitspotenzial: Durch den langsamen Wirkungseintritt und die gleichmäßige Wirkstofffreisetzung werden kurzfristige Wirkspitzen vermieden, die bei der inhalativen Anwendung mit einem erhöhten Abhängigkeitsrisiko einhergehen könnten. Dies macht Cannabisextrakte besonders geeignet für eine nachhaltige Cannabistherapie.
Nachteile der oralen Einnahme
- Verzögerter Wirkungseintritt: Die Symptomlinderung bei der oralen Einnahme von Cannabisextrakten setzt erst nach 30 bis 90 Minuten ein [1]. Dies macht diese Darreichungsform weniger geeignet für akute Beschwerden, die eine sofortige Wirkung erfordern.
- Möglicher Verlust der Entourage-Effekte: Bei der Verarbeitung von Cannabisblüten zu Cannabisextrakten können therapeutisch wertvolle Inhaltsstoffe, wie z. B. Terpene, teilweise verloren gehen. Dies könnte die Synergieeffekte (den sogenannten Entourage-Effekt) einschränken, die in den Blüten natürlicherweise enthalten sind und für eine ganzheitliche therapeutische Wirkung sorgen.
- Schwierige Steuerbarkeit der Wirkung: Individuelle Unterschiede im Stoffwechsel können dazu führen, dass die Wirkung und Wirkungsdauer variieren. Dies erschwert die präzise Steuerung der Therapie, da die Aufnahme von THC und CBD vom individuellen Stoffwechsel abhängig ist.
- Einfluss der Nahrungsaufnahme: Die Wirkung von Cannabisextrakten kann durch die Nahrungsaufnahme beeinflusst werden, insbesondere durch fettreiche Kost, die die Cannabinoidaufnahme verstärken kann [6, 7]. Um eine gleichbleibende Wirkung zu gewährleisten, sollten Patientinnen und Patienten möglichst konstante Einnahmebedingungen beachten.
Fazit
Die Entscheidung für die inhalative Anwendung von Cannabisblüten oder die orale Einnahme von Cannabisextrakten sollte stets individuell und in enger Absprache mit der Ärztin oder dem Arzt getroffen werden. Die Inhalation bietet eine schnelle und flexible Symptomkontrolle, ideal für akute Beschwerden wie Durchbruchschmerzen oder spastische Symptome. Dagegen eignet sich die orale Einnahme durch ihre langanhaltende Wirkung besser für die kontinuierliche Behandlung von chronischen Schmerzen, entzündlichen Erkrankungen oder anderen langfristigen Beschwerden.
In manchen Fällen kann eine Kombination beider Ansätze sinnvoll sein, um den Krankheitsverlauf optimal zu beeinflussen. So kann beispielsweise die Inhalation für akute Schmerzspitzen eingesetzt werden, während die orale Einnahme eine stabile Basistherapie bietet. Die Auswahl der passenden Methode hängt dabei nicht nur von den therapeutischen Zielen, sondern auch von individuellen Faktoren wie der Lebenssituation, möglichen Nebenwirkungen und der Kostenübernahme durch die Krankenkasse ab.
Die Therapie mit medizinischem Cannabis erfordert eine sorgfältige Abwägung der Vorteile und Risiken, die Berücksichtigung der gesetzlichen Vorgaben des Betäubungsmittelgesetzes sowie eine fundierte Beratung durch Ärztinnen und Ärzte. Nur so kann gewährleistet werden, dass die Behandlung sicher und wirksam ist und optimal auf die Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten abgestimmt wird.
Disclaimer
Die oben genannten Inhalte dienen ausschließlich der allgemeinen Information und ersetzen keinesfalls eine persönliche, fachkundige Beratung durch Ärztinnen und Ärzte. Der Einsatz von medizinischem Cannabis zur Behandlung von Erkrankungen oder Symptomen sollte stets auf Grundlage einer individuellen Einschätzung durch qualifiziertes medizinisches Fachpersonal erfolgen. Personen, die Cannabis zu medizinischen Zwecken verwenden möchten, sollten eine Ärztin oder einen Arzt konsultieren, um sicherzustellen, dass die Therapie auf ihre spezifischen Bedürfnisse abgestimmt ist und mögliche Nebenwirkungen sowie Risiken berücksichtigt werden. Auch Aspekte wie die gesetzliche Genehmigung, die Kostenübernahme durch die Krankenkassen und die Vorgaben des Betäubungsmittelgesetzes sollten bei der Planung der Cannabistherapie bedacht werden. Bitte beachten Sie, dass die unsachgemäße Anwendung von Cannabisarzneimitteln gesundheitliche Risiken birgt. Wir übernehmen keine Haftung für Schäden oder unerwünschte Konsequenzen, die aus einem nicht fachgerecht durchgeführten Einsatz von Cannabis zu medizinischen Zwecken entstehen können. Der verantwortungsvolle Umgang mit Cannabisarzneimitteln ist unerlässlich, um eine sichere und effektive Therapie zu gewährleisten.
Literaturverzeichnis
[1] Häuser, W. (2018). Medizinalhanf in der Inneren Medizin, Schmerzmedizin und Palliativmedizin. Arzneiverordnung in der Praxis, 45, 23–28. URL: https://www.akdae.de/fileadmin/user_upload/akdae/Arzneimitteltherapie/AVP/Artikel/201801/023.pdf (Stand: 01.10.2024).
[2] Grotenhermen, F. (2003). Pharmacokinetics and pharmacodynamics of cannabinoids. Clinical Pharmacokinetics. doi:10.2165/00003088-200342040-00003. URL: https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/12648025/ (Stand: 01.10.2024).
[3] Aggarwal, S. K. (2013). Cannabinergic pain medicine: a concise clinical primer and survey of randomized-controlled trial results. Clinical Journal of Pain, 29(2), 162–171. doi:10.1097/AJP.0b013e31824c5e4c. PMID: 22367503. URL: https://journals.lww.com/clinicalpain/abstract/2013/02000/cannabinergic_pain_medicine__a_concise_clinical.11.aspx (Stand: 01.10.2024).
[4] Almog, S., et al. (2020). The pharmacokinetics, efficacy, and safety of a novel selective-dose cannabis inhaler in patients with chronic pain: A randomized, double-blinded, placebo-controlled trial. European Journal of Pain (United Kingdom). URL: https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/ejp.1605 (Stand: 01.10.2024).
[5] Nuutinen, T. (2018). Medicinal properties of terpenes found in Cannabis sativa and Humulus lupulus. European Journal of Medicinal Chemistry, 157, 198–228. doi:10.1016/j.ejmech.2018.07.076. Epub 2018 Aug 4. PMID: 30096653. URL: https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0223523418306408?via%3Dihub (Stand: 01.10.2024).
[6] Bussick, D., & Eckert-Lill, C. (2017). Cannabis als Medizin. Was kommt auf die Apotheken zu? Pharmazeutische Zeitung. URL: https://www.pharmazeutische-zeitung.de/ausgabe-082017/was-kommt-auf-die-apotheken-zu/ (Stand: 01.10.2024).
[7] Herdegen, T. (2020). Cannabis – die Pharmakologie. Deutsche Apotheker Zeitung, 49, 58–72.